Die Kehrseite der Medaille
Ich als Tierärztin verlasse mich darauf, dass alle Kollegen die neue GOT umsetzen und sich die Lage somit irgendwann wieder entspannt. Denn große preisliche Unterschiede wird es nicht geben. Um all diese kleineren Hürden soll es hier nicht gehen, das ist keine Grundsatzdiskussion.
Vielmehr möchte ich die netten Blüten, die aus der neuen GOT erwachsen, zeigen. Es würde mich interessieren, ob dieses Phänomen sich nur auf meine Praxis beschränkt oder ob viele Kollegen in Erklärungsnot geraten und sich anfeinden lassen müssen. Wir beginnen mit einer schriftlichen Beschwerde, die ich anonymisiert und von Rechtschreibfehlern befreit habe:
„Frage: Verlangen Sie ernsthaft 225 Euro, davon 66 Euro Wegegeld? Sind Sie die Queen? Das ist echt frech, das Einschläfern meines Ponys vor drei Jahren war auch nicht teurer, diesmal haben Sie ja kaum was gemacht! Das war auf jeden Fall die letzte Behandlung an meinem Pferd, ausnehmen wie eine Weihnachtsgans können Sie jemand anderen, weil verarschen kann ich mich alleine.“
Wenn der Bezirksverband einspringt
Sehr nett – wohl gemerkt war das die Reaktion auf eine korrekte Rechnung im einfachen Satz und Behandlungserfolg ist auch eingetreten. Netterweise hat der Tierärztliche Bezirksverband eine Antwort übernommen, die auf zwei Seiten die Rechtslage erklärt und am Ende die Ausdrucksweise der Kundin als unangemessen bezeichnet. Vielleicht hilft diese Antwort auch jemandem da draußen als Antwortbeispiel, der sich ähnlichen Problemen gegenübersieht.
„Sehr geehrte Frau Blabla,
der Tierärztliche Bezirksverband hat die Rechnung Nr. XYZ der Tierarztpraxis Hottehü nebst Ihren Kommentaren hierzu zur Prüfung erhalten. Die vorgelegte Rechnung wurde von mir nach Form und Inhalt geprüft, sie enthält alle in der Gebührenordnung für Tierärzte (GOT) in ihrer gültigen Form vorgeschriebenen Bestandteile. Zu dem von Ihnen speziell kritisierten Wegegeld schreibt die GOT in § 10 Abs. 2 verbindlich vor: ‚Das Wegegeld beträgt bei eigener Benutzung eines Kraftfahrzeuges je Doppelkilometer 3,50 Euro, insgesamt jedoch mindestens 13 Euro. Werden auf einer Fahrt mehrere Tierhalter besucht, so ist das Wegegeld anteilig zu berechnen.‘ Es handelt sich hierbei um eine ‚Muss‘-Vorschrift.“
Die „Abzocke“ als verbindliche Rechtsvorgabe
„Folgendes ist allgemein anzumerken: Die Novellierung der Gebührenordnung für Tierärzte (GOT) hat im November 2022 neben einer reinen Gebührenerhöhung auch eine Vielzahl neuer Gebührenziffern gebracht, so zum Beispiel die gemäß der GOT-Ziffer 40 verbindlich abzurechnende Hausbesuchsgebühr für Freizeitpferde im 1-fachen Satz in Höhe von € 34,50 netto. Insofern ist die Abrechnung tierärztlicher Leistungen aus dem Jahr 2021 mit der derzeit vorgeschriebenen Abrechnung nur bedingt vergleichbar. Bei den Vorschriften der GOT handelt es sich um verbindliche Rechtsvorgaben, die von allen Tierärzten bei der Abrechnung tierärztlicher Leistungen zwingend zu beachten sind. Kulanz- oder Ermessensspielräume gibt es in der GOT seitens des Gesetzgebers ausdrücklich nicht. Insofern trifft Ihre Annahme, dass Tierärzte für ihre Leistung etwas verlangen können, aber nicht müssen, leider nicht zu. Dies gilt nicht nur für jede einzelne erbrachte Leistung, sondern auch für die Höhe des Abrechnungsbetrages. Tierärzte, die ihre erbrachten Leistungen nicht GOT-konform abrechnen, begehen einen Rechtsverstoß, der genauso wie beispielsweise eine Geschwindigkeitsüberschreitung rechtlich verfolgt wird und im Wiederholungsfalle deutliche Konsequenzen nach sich zieht. Somit bleibt Tierärzten keine andere Möglichkeit, als die Rechtsvorgaben der GOT vollständig umzusetzen, so wie dies in der vorgelegten Rechnung der Tierarztpraxis Hottehü erfolgt ist.
Selbstverständlich haben Sie als Patientenbesitzerin das Recht, Kritik an der Art und der Höhe der Gebühren für tierärztliche Leistungen zu üben. Sie erwarten als Tierhalter seitens der Tierärzte zurecht einen respektvollen Umgang mit Ihnen und Ihren Tieren sowie eine korrekte und in der Höhe angemessene Abrechnung tierärztlicher Leistungen. Abgesehen davon, dass Ihre Kritik eigentlich an diejenigen gerichtet sein müsste, die die Abrechnungsvorschriften für Tierärzte gesetzlich erlassen haben, wäre es sinnvoll, sich zunächst über Rechtsvorschriften zu informieren, bevor man im Rahmen seiner geäußerten Kritik von jemandem verlangt, gegen geltendes Recht zu verstoßen. Die Art und Weise sowie die Wortwahl Ihrer Kritik an der Rechnung der Tierarztpraxis Hottehü halte ich in diesem Zusammenhang für respektlos und völlig unangemessen.
Für Rückfragen stehe ich Ihnen gern zur Verfügung. Mit freundlichen Grüßen, Tierärztlicher Bezirksverband“
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Wenn die Ärztin sich kein Pferd mehr leisten kann
Das ist wohl das Ende dieser Kundenbeziehung …. Es gibt aber auch andere Schienen, die man fahren kann, weniger beleidigend, die aber eigentlich das gleiche Ziel haben. Hier eine E-Mail, die ich bekommen habe, anonymisiert.
„Liebe Frau Dr. Hottehü!
Ich weiß, dass Sie eine hervorragende Tierärztin sind und eine hervorragende Arbeit leisten, aber über 800 Euro für einen Besuch am Wochenende? Ich bekomme für einen Hausbesuch bei einem Privatpatienten am Wochenende nicht mal ein Zehntel! Für Kassenpatienten viel weniger. Das kann ich mir einfach nicht leisten. Ich versuche, das Geld aufzubringen, aber was ich machen soll, wenn mein Pferd wieder mal so krank ist, weiß ich noch nicht.
Liebe Grüße von Dr. Human und Pferdebesitzerin“
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Oh nein, sie erwischt mich mit der Tierschutzfrage. Ich will keinesfalls, dass ein Tier leiden muss. Da bekommt man ja Angst. Ob das stimmt, dass die Humankollegen Sonntagnachmittag zwei Stunden eine Kolik bei jemandem zu Hause für nicht mal 80 Euro beheben, weiß ich nicht, aber falls dem so ist, dann rufe ich auch dort an, wenn mein Pferd was hat. Eine solche Bezahlung wäre ein Witz, ist sicher nicht mal kostendeckend, denn da müssen auch alle Medikamente, Anfahrt usw. inklusive sein.
Die Sache mit dem Stundenlohn
Ich möchte dazu noch anmerken, dass in diesem Fall nicht ich 800 Euro bekomme, sondern ein Großteil der Rechnung auf Arzneimittel entfällt, da sich die Kundin an jenem Sonntag auch wieder mit recht teuren Medikamenten für Magengeschwüre eingedeckt hat. Also die Hälfte, etwa 400 Euro sind schon Arzneimittel, der Rest teilt sich auf Untersuchung, Wegegeld und Kleinkram auf. Ich schätze, nach Abzug aller Aufwendungen bleibt ein Stundenlohn von knapp 50 Euro, wohlgemerkt für Sonntag, der dauernde Bereitschaftsdienst ist unentlohnt, man verdient nur, wenn jemand anruft. Somit habe ich auch nicht mal 80 Euro in der Stunde, das wäre wieder verständlicher.
Diese E-Mail habe ich selbst beantwortet und kurz die Rechtslage erklärt:
„Sehr geehrte Frau Dr. Human und Pferdebesitzerin,
tatsächlich sind mir und allen Kollegen diesbezüglich die Hände gebunden. Die neue Gebührenordnung darf nicht unterschritten werden. Nach oben hätte ich dafür noch Luft. Lassen Sie uns gemeinsam hoffen, dass es Ihren Pferden einfach immer gut geht. Ansonsten sind wir gehalten, allen Pferdebesitzern umfangreiche Krankenversicherungen ans Herz zu legen, besonders bei älteren Tieren.
Beste Grüße, Ihre Tierarztpraxis Hottehü“
Mal sehen, ob diese Kundin bleibt.
Das vergoldete Pferd
Das bringt uns zum bisher extremsten Fall: Ein altes Herzfehlerpferd mit Einschuss, also Infektion im Bein mit Phlegmone, intensive Betreuung über eine Woche. Ansonsten jetzt fröhlich und genesen. Die weiteren komplizierten Umstände erspare ich der armen Leserschaft lieber.
Kundin schreit: „Ich kann nicht mehr, das ist unbezahlbar, nimm ihn oder schläfer ihn ein!“ Auf die Kommentare freue ich mich jetzt schon, denn – was soll ich sagen – ich habe jetzt ein Pferd mehr. Aber falls es dann sonntags kolikt, mach ich keinen Finger krumm, ich weiß ja jetzt, wo ich dann anrufe.
Lesen Sie hier den vollständigen Artikel in DocCheck
„66 Euro Wegegeld – sind Sie die Queen?“